Long Covid als Berufskrankheit

Im Sommer 2023 wurde die Covid-19-Pandemie, durch die über 20 Millionen Menschen gestorben sind, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für beendet erklärt. Über 650 Millionen Menschen haben sich weltweit in den letzten vier Jahren mit dem „Coronavirus“ SARS-CoV2 angesteckt. Und erste Studien weisen darauf hin, dass mindestens 10% aller an Covid-19-Erkrankten auch an Langzeitfolgen leiden.

So sind in Europa 36 Millionen Menschen durch SARS-CoV-2 zu chronisch Kranken geworden. Alleine in Deutschland mussten bis Ende 2022 rund 70.000 Patient*innen mit Long Covid bzw. Post-Covid-Syndrom eine stationäre Rehabilitation in Anspruch nehmen. Durch den erneuten Anstieg der Infektionszahlen in aktuellen endemischen Infektionswellen ist durch erhöhte Krankenstände mit einer weiteren Zunahme negativer Auswirkungen auf Betrieb und Gesellschaft zu rechnen.

Aus gewerkschaftlichem Interesse am Arbeits- und Gesundheitsschutz und im Sinne einer sozial-medizinischen Aufklärung fragen wir uns daher: Was macht Long Covid mit den betroffenen Arbeiter*innen und welche Möglichkeiten der Rehabilitation oder Integration gibt es? Wie kann dieses Langzeit-Symptom als Berufskrankheit bzw. Arbeitsunfall anerkannt werden? Und welche Möglichkeiten zur Prävention am Arbeitsplatz stehen zur Verfügung?

Zunächst aber soll geklärt werden, was Long Covid eigentlich ist: Mit der Sammelbezeichnung Long-Covid-Syndrom werden gesundheitliche Beschwerden benannt, die in Folge einer Ansteckung mit dem SARS-CoV2-Virus meist schleichend und unterschiedlich stark auftreten. Dabei kann es sich um eine mehr als vier Wochen andauernde Covid-19-Erkrankung handeln oder um Symptome, die erst später auftreten [1]. Halten solche monatelangen Krankheitsbeschwerden dieser systemischen Gefäßerkrankung mehr als 12 Wochen an (bzw. treten sie dann erneut oder erstmalig auf), spricht man auch vom Post-Covid-Syndrom (PSC). Meist ist man dann aber längst nicht mehr ansteckend, außer man hat sich inzwischen neu infiziert.

Nach heutigen Erkenntnissen geht man davon aus, dass Long Covid kein einheitliches Krankheitsbild zeigt, sondern verschiedene mögliche langfristige Gesundheitsschäden verursacht. Das macht eine ärztliche Diagnose sehr schwierig. Es kann das Organsysteme betreffen, unterschiedliche Beschwerden verursachen und auch unterschiedliche Ursachen haben.

Häufige Krankheitszeichen

Zu den möglichen Folgen dieser Multiorgan-Erkrankung zählen sowohl physische, wie kognitive und psychische Symptome. Das bedeutet, dass die Erkrankten durch Einschränkungen des Denkens, sowie durch seelische und körperliche Probleme in ihrer alltäglichen Lebensqualität negativ betroffen sind.

Die Forschung hat mittlerweile einige häufige Krankheitszeichen herausgefunden, die zu Long Covid gerechnet werden: Autoimmunprozesse, dauerhafte Gefäßentzündungen und -verschlüsse, Darmerkrankungen oder ein Ausbrechen anderer Viren. Bestanden vor der Ansteckung mit SARS-CoV-2 bereits lang anhaltende Erkrankungen, so können diese durch Long Covid weiter verschlechtert werden.

Typische Anzeichen sind Erschöpfung und eine eingeschränkte Belastbarkeit (Fatigue), sowie Denk-Probleme, wie Wortfindungsstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Aber auch durch Nervenschäden verursachte Störungen des Empfindungsvermögens bzw. des Fühlens werden genannt, wobei besonders die Riech- und Geschmacksstörungen auf Covid-19 als Ursache hindeuten.

Hinzu kommen anhaltende Atemwegsbeschwerden, beispielsweise Husten und Kurzatmigkeit bzw. Atemnot, aber auch Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen. Weiterhin bekannte Anzeichen sind Hautveränderungen, Halsschmerzen, Haarausfall, Schlafprobleme, Benommenheit oder Schwindelanfälle. Sowie Lärm- und Lichtempfindlichkeit, aber auch Angstzustände und depressive Verstimmungen. Schließlich kann es infolge einer schweren Covid-19-Erkrankung – vor allem nach Beatmung auf der Intensivstation – auch zu einer post-traumatischen Belastungsstörung (PTBS) kommen.

Solche Anzeichen können vereinzelt oder gleichzeitig bzw. nacheinander auftreten, teilweise vermehrt nach Belastung. Auch ohne einen schweren Verlauf von Covid-19 können leichte bis schwere Organschäden auftreten, beispielsweise an Lunge und Nieren. Aber auch Herz-Kreislauf- und Autoimmun-Erkrankungen oder Diabetes mellitus treten vermehrt auf.

Ursachen und Risiken

Vieles deutet darauf hin, dass Long Covid Ähnlichkeiten aufweist zu dem Erschöpfungssyndrom ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom). Dessen Ursachen sind bislang ungeklärt, aber wahrscheinlich spielen krankhafte Antworten des Immunsystems nach einer Virusinfektionen eine wichtige Rolle für diese andauernde Müdigkeit. Jede kleinste Anstrengung überlastet dabei die Betroffenen im Alltag und führt oft zu dauerhaftem Rückzug aus Betrieb und Gesellschaft. Einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse von 2022 hat herausgefunden, dass Long Covid Erkrankte über 100 Tage im Jahr arbeitsunfähig sind.

Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland haben ebenfalls 2022 festgestellt, dass erwachsene Covid-19-Erkrankte ein etwa dreifach höheres Risiko für diese chronische Müdigkeit (CFS) haben als nicht-infizierte. Unterschiedliche Studien belegen, dass weltweit mindestens 10% aller Covid-19-Kranken ein Long-Covid-Syndrom entwickeln, in Deutschland wurde 2022 eine Häufigkeit von 6,5% ermittelt.

Meist tritt die Krankheit bei Patient*innen im erwerbsfähigen Alter auf und vermehrt bei Frauen und Beschäftigte im Gesundheitswesen, was auf die geschlechtsspezifischen sozialen Berufen und häusliche Care-Arbeit als Risikofaktoren hinweist. Bei den seit 2022 vorherrschenden Virusvarianten (Omikron) ist dieser Anteil wohl niedriger als zuvor bei den aggressiveren Varianten (Alpha/Delta), aber er steigt bei jeder weiteren Neuinfektion weiter an [2].

Es werden zudem verschiedene Faktoren genannt, welche das Auftreten von Long Covid beeinflussen, wie beispielsweise die Schwere der Covid-19-Infektion oder die Virusvariante, sowie individuelle Faktoren, wie Geschlecht, Alter, Genanlagen, bestehende Erkrankungen und Impfstatus. Aber auch sozial-ökonomische Faktoren und Umweltbedingungen.

Warum und wie lange Patient*innen von Long Covid betroffen sind, konnte bisher nicht genau erklärt werden. Es wird vermutet, dass es sich um eine langanhaltende Autoimmun-Reaktion des Abwehrsystems handeln könnte, wobei körpereigene Zellen angegriffen werden. Möglicherweise lösen auch winzige Reste des Virus solche Reaktionen aus. Oder das Immunsystem bleibt noch nach einer Covid-19-Erkrankung in Alarmbereitschaft und greift daher Nieren, Lunge, Gehirn oder Blutgefäße an, was zu gefährlichen Entzündungen im Gewebe führt.

Vielleicht könnte es auch an einer Aktivierung der weit verbreiteten Herpes-Viren liegen, die wahrscheinlich Autoimmun-Erkrankungen und ME/CFS auslösen können. Andere Forschungen legen nahe, dass bei Long Covid kleinste Blutgerinnsel (Microclots) entstehen, die Durchblutungsstörungen verursachen. Damit wären jedenfalls einige der Beschwerden teilweise zu erklären, wie dauernde Müdigkeit, geistige Beeinträchtigung, Herzrasen, Kurzatmigkeit und Schmerzen.

Der lange Leidensweg zur Diagnose

Herausragende Krankheitsmerkmale von Long Covid, wie anhaltende Erschöpfung, führen am Arbeitsplatz schnell zu einer nachlassenden Belastbarkeit. Auch die als Brain Fog bezeichneten Gedächtnisprobleme und Störungen der Konzentration bzw. Koordination können den Arbeitsalltag erheblich erschweren, wobei oftmals Schmerzen, Atemnot oder Kreislaufbeschwerden hinzukommen. Das führt meist zu einer stark einschränkenden Belastungsintoleranz mit Leistungsabfall bis hin zum Zusammenbruch oder gar zu dauerhafter Arbeitsunfähigkeit.

Es wird davon ausgegangen, dass zwei Drittel der über 6 Monate Erkrankten nicht länger erwerbsfähig sind oder nur noch Teilzeitarbeit leisten können. Einzelne Betroffene können bei eingeschränkter Fähigkeit zur Selbstversorgung sogar dauerhaft zum Pflegefall werden. Denn bisher gibt es leider keine ursächliche Therapiemöglichkeit, sondern nur eine Behandlung der Symptome.

Ein Unternehmen ist zunächst für 6 Wochen verpflichtet, dem erkrankten Personal seinen Lohn weiter zu bezahlen. Danach übernimmt entweder die Krankenkasse (Krankengeld) oder bei Arbeitsunfällen die Berufsgenossenschaft durch Verletztengeld für höchstens 78 Wochen. Auch während einer Rehabilitationsmaßnahme gibt es Anspruch auf entsprechende Entgeltersatzleistungen.

Zudem gibt es möglicherweise nach Ablauf des Verletztengeldes eine Rente wegen teilweiser oder vollständiger Minderung der Erwerbsfähigkeit“ (MdE) gemäß SGB VI § 43 durch die Renten- oder Unfallversicherung. Hinzu kommen mögliche Ansprüche auf Haushaltshilfe und Pflegegeld. Außerdem kann man bei der Rentenversicherung auch „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ nach dem SGB XII beantragen, wobei in der Regel nach einem Jahr ein Folgeantrag nötig wird.

Long Covid von der gesetzlichen Unfallversicherung als eine Berufskrankheit oder einen Arbeitsunfall anerkannt zu bekommen ist jedoch äußerst schwierig. Meist werden die Beschwerden von den Vorgesetzten oder sogar von Ärzt*innen nicht ernst genommen. Das Leiden wird oft als psychosomatisch heruntergespielt oder auch von den Betroffenen selbst nicht als Krankheitssymptom erkannt, da die ursächliche SARS-Cov2-Infektion oder Covid-Erkrankung eventuell schon seit Monaten vorbei ist.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Symptomatik von Long Covid vielschichtig ist und eindeutige Labortests nicht vorhanden sind. Da es sich um eine Ausschlussdiagnose handelt, bei der zunächst auf andere Krankheiten untersucht wird, ist es hilfreich, wenn die Betroffenen ihre Beschwerden in eigenen Symptom-Tagebüchern oder durch Fragebögen erfassen. Zur Messung gibt es beispielsweise den PCS Score (Post-Covid-Syndrome Score) [3] oder auch Messinstrumente für den Schweregrad von chronischen Schmerzen (Brief Pain Inventory) [4], sowie das MoCA-Testverfahren auf kognitive Mängel (Montreal Cognitive Assessment) bzw. den Patient*innen-Fragebogen für Depression (PHQ-9). Die Belastungsreaktionen der Betroffenen können durch einfache Pulsmessung dokumentiert werden.

Eine neue Richtlinie zur Verbesserung der ärztliche Versorgung bei Long Covid (und seltenen Impfschäden) hilft dabei, den Gesundheitszustand systematisch zu erfassen. Und bei Symptomen, wie Belastungsintoleranz und Fatigue (bzw. Post-exertionelle Malaise), hinsichtlich ME/CFS zu bewerten. Dazu empfiehlt der Gemeinsame Bundesausschuss der Gesetzlichen Krankenversicherungen unter anderem das von einer Ansprechperson koordinierte gemeinsame, abgestufte Vorgehen, sowie einen gesteuerten Behandlungsplan aller interdisziplinär Beteiligten [5].

Betriebliche Wiedereingliederung

Nach längerer Erkrankung [6] gibt es jedoch grundsätzlich den Anspruch auf ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement (BEM) zur Gesundheitsförderung – unabhängig von der Betriebsgröße. Dabei geht es um Hilfen und Angebote für den stufenweise Wiedereinstieg in den Arbeitsplatz (Hamburger Modell) während des Bezugs von Krankengeld. Diese ergebnisoffenen Gespräche über die Art der Weiterbeschäftigung zu angepassten Arbeitsbedingungen (wie Homeoffice, Lärmschutz, Jobcoaching oder flexible Arbeitszeiten) sind für die Betroffenen jedoch freiwillig.

Und man hat Anspruch darauf, dass auch eine Vertrauensperson der eigenen Wahl daran teilnimmt, beispielsweise jemand von der Gewerkschaft oder eine Anwält*in. Im Einzelfall werden auch eine Arbeitsmediziner*in, eine Fachkraft für Arbeitssicherheit oder eine Vertreter*in des Rehabilitationsträgers hinzugezogen. Dabei ist natürlich auf den Datenschutz der Patient*innen zu achten.

Wird jedoch keine verpflichtende Belehrung über das Angebot einer betrieblichen Eingliederung angeboten, können Arbeitgeber*innen dafür gesetzlich nicht belangt werden. Aber ein nicht ordentlich durchgeführtes und unabgeschlossenes BEM-Verfahren kann eine spätere Kündigung aus Krankheitsgründen in Frage stellen [7].

Rehabilitation

Besteht ein Verdacht auf Long Covid, so ist zunächst die eigene Hausärzt*in bzw. Betriebsärzt*in die erste Anlaufstelle, aber auch Praxen für Kardiologie, Neurologie, Pneumologie, Psychosomatik und Rheumatologie. Diese können die Betroffenen dann mit der Diagnose „Post-Covid-19-Zustand“ (ICD-11: RA02) zu speziellen Schwerpunktpraxen oder in eine Long-Covid-Ambulanz vermitteln. Auch die Kassenärztliche Berufsvereinigung mit ihrem Patient*innen-Servicetelefon 116117 kann solche lokalen Kontakte herausfinden.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) bietet zudem ein Suchverzeichnis an für ambulante oder stationäre Reha-Angebote [9]. Ein Heilverfahren ohne vorherige Krankenhausbehandlung kann bei den zuständigen Kostenträger*innen als meist vierwöche Reha-Behandlung, selbst beantragt werden. Dazu bedarf es jedoch eines aussagekräftigen ärztlichen Befundberichts, der sowohl einen körperlichen als auch einen psychosomatischen Behandlungsbedarf (Indikation) aufweisen kann. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Möglichkeit der Diagnose einer körperlichen Belastungsstörung hingewiesen (ICD-11: 6C20).

Außerdem ist es zur erfolgreichen Reha wichtig über eine Diagnose zu verfügen, welche auf der funktionsorientierten ICF-Klassifikation (International Classification of Functioning, Disability and Health) beruht. Damit kann eine medizinisch-therapeutische Heilbehandlung durch verschiedene Professionen ambulant oder stationär stattfinden. Dazu gehören Atemtherapie, Physiotherapie mit individuellen Sport- und Bewegungsangeboten, aber auch kognitives Training, Logopädie oder Ergotherapie, sogar Psychotherapie.

Anschließend sollte ein Konzept für die ambulante Reha-Nachbehandlung erstellt werden, zu der auch eine berufliche Belastungserprobung von vier bis sechs Wochen zur stufenweisen Wiedereingliederung am Arbeitsplatzzählen kann. Währenddessen soll den weiterhin Krankgeschriebenen ein Krankengeld bzw. Verletztengeld in Höhe von bis zu 80 % des letzten Bruttogehalts gezahlt werden.

Weitere Leistungen der Berufsgenossenschaften zur Erhaltung oder Erlangung eines passenden Arbeitsplatzes sind auch Berufsvorbereitungsmaßnahmen, Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung. Sowie eventuell finanzielle Unterstützung für die berufsbedingten Kosten von Kraftfahrzeugen oder Wohnungsmiete.

Überlastung vermeiden

Allgemein werden zur Behandlung auch angemessene körperliche Aktivitäten an der frischen Luft empfohlen, da diese unter anderem das Immunsystem anregen und Entzündungen vorbeugen können. Jedoch muss auf eine mögliche Überlastung durch „Post-exertionelle Malaise“ (PEM) geachtet werden. Daher wäre eventuell nur ein leichtes Training mit individuell angemessenem Energie-Management angebracht, um Überbeanspruchung während der Heilbehandlung zu vermeiden (Pacing).

Möglich wird dies auch durch eine angepasste „Erweiterte Ambulante Physiotherapie“ (EAP), welche von der Berufsgenossenschaft übernommen werden kann. Ein nach allgemeinen Vorstellungen von Heilbehandlung verordnetes Kraft- und Ausdauertraining zur körperlichen Aktivierung kann jedoch den Erfolg der Long-Covid-Rehabilitation in Frage stellen und zu einem Zusammenbruch (Crash) der Patient*innen führen anstatt durch schonendes „Pacing“ eine Überlastung zu vermeiden.

Daher ist es wichtig, dass das medizinische und therapeutische Personal über das nötige aktuelle Krankheitswissen verfügt. Eine Orientierung für diagnostische Ansätze und Therapien bieten unter anderem die aktuelle S1-Leitlinie „Long/ Post-Covid“ [10] und die S2k-Leitlinie „SARS-CoV-2, Covid-19 und (Früh-) Rehabilitation“ [11].

Anerkennung als Berufskrankheit

Für berufstätige Patient*innen gilt in der Regel die gesetzliche Rentenversicherung als Ansprechpartnerin zur Beantragung von Reha-Maßnahmen. Wenn es sich allerdings um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit handelt, so sind die Gesetzliche Unfallversicherung bzw. die Berufsgenossenschaften der jeweiligen Branche die zuständigen Kostenträgerinnen.

Oft streiten sich die Kostenträger*innen darum, wer im Versicherungsfall für die Behandlung zahlen muss und es kann zu langwierigen Widerspruchsverfahren kommen. Dabei ist es für die Erkrankten wichtig, die Zeit bis zum Antritt der Reha-Maßnahme überbrücken zu können. Bei Krankschreibungen, die nur noch durch eine digitale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) möglich sind, gilt es darauf zu achten, dass wegen der unklaren Dauer der Krankheit höchstens eine „voraussichtliche Rückkehr“ an den Arbeitsplatz vorhergesagt werden kann.

Um Covid-19 von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) als Berufskrankheit anerkannt zu bekommen, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: Man muss Mitarbeiter*innen in einer ambulanten oder stationären Einrichtungen des Gesundheitsdienstes, in einem Labor oder in der Wohlfahrtspflege sein. Außerdem gilt dies auch für „Personengruppen, die bei ihrer versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in einem ähnlichen Maße besonders ausgesetzt waren“ [12]. Was möglicherweise auch für Kosmetiker*innen und Friseur*innen zutrifft, vermutlich aber nicht für Kassierer*innen, Busfahrer*innen oder die auffällig häufig erkrankten Schlachthaus-Arbeiter*innen und Landwirtschaftshelfer*innen.

Man muss also nachweisen können, dass man sich genau dort während der Arbeit im Kontakt mit einer SARS-CoV-2-infizierten Person angesteckt hat. Zudem müssen Covid-19-Symptome erkennbar sein (unabhängig von der Schwere der Krankheit). Zum Nachweis ist außerdem ein Gen-Test (PCR) oder ein von qualifiziertem Personal durchgeführter Antigen-Schnelltest (PoC) nötig. Als erstes sollte eine “Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit“ bei der DGUV als Formular eingereicht werden, bei dem ausdrücklich eine „Infektionskrankheit“ (BK-Nr. 3101) eingetragen wurde.

Wird jedoch Covid-19 im Einzelfall nicht als Berufskrankheit anerkannt, besteht noch die Möglichkeit, die Infektion als Arbeitsunfall gelten zu lassen, wenn infolge dieser Ansteckung die Krankheit mit entsprechenden Symptomen ausbricht. Dazu ist es nötig, dass die Ansteckung und ihre Umstände in dem Verbandbuch oder Meldeblock des Unternehmens dokumentiert wurde (samt Meldung bei der Berufsgenossenschaft, die auch nachträglich möglich ist). Hierbei sollen die intensiven Kontakte zu allen Infizierten (Indexpersonen) am Arbeitsplatz vermerkt werden. Der Kontakt zu einer konkreten Indexpersonen muss frühestens 2 Tage vor und spätestens 10 Tage nach deren Symptomausbruch stattgefunden haben, also während sie ansteckend war.

Dieser Kontakt kann nur anerkannt werden, wenn er entweder ohne Maske ungeschützt im engen Nahfeld für über 10 min stattfand – bei einem Gespräch auch zeitlich unbegrenzt. Oder unabhängig vom Abstand (und auch mit Maske), wenn sich beide Personen in demselben Raum aufgehalten haben, in dem wahrscheinlich eine hohe Konzentration ansteckender Aerosole vorlag. In Einzelfällen reicht auch der Nachweis einer allgemein hohen Infektionslage im Berufsumfeld.

Jedoch wird von der DGUV immer auch geprüft, ob und wie ähnliche „außerberufliche Gefährdungen“ während dieser Frist zu der Covid-19-Infektion geführt haben könnten. Wobei grundsätzlich der kürzeste Weg zum Betrieb und zurück ebenfalls vom Versicherungsschutz gedeckt ist, nicht aber Pausen während der Arbeitszeit. Ob eine Kantine oder Gemeinschaftsunterkunft trotzdem ein anerkannter Ansteckungsort sein kann, hängt ab von Raumgröße, Belüftung und den Möglichkeiten dort Abstand zu halten.

Alle diese Voraussetzungen gelten allerdings nur für sozialversicherungspflichtige, gemeldete Tätigkeiten (auch für Schüler*innen, Studierende und beim Ehrenamt), sowie für Mini-Jobber*innen. Letztere sind trotzdem versichert, auch wenn sie (noch) nicht mittels eines Haushaltsschecks gemeldet wurden, weil die Arbeitgeber*innen die Zahlung ihrer Pflichtbeiträge verhindern wollen.

Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) ist seit 2021 durch tausende Berufskrankheitsmeldungen von Versicherten überlaufen und kann wegen erheblicher Bearbeitungsrückständen die in Rechnung gestellten Leistungen nicht mehr zeitnah begleichen [13]. Im Jahr 2022 wurde in mehr als 300.000 Fällen eine Covid-19-Erkrankung von der DGUV als Berufskrankheit anerkannt, sowie fast 25.000 mal als Arbeitsunfall. Die Statistik für September 2023 lag sogar noch knapp über diesen Werten [14].

Hinzu kommt, dass auch bei Anerkennung von Post Covid als Berufskrankheit der Zusammenhang zwischen der Infektion und den Langzeitsymptomen im Einzelfall durch medizinische Gutachten nachweisbar sein muss, sonst wird von der BGW keine Versichertenrente gezahlt. Diese „Kausalitätsbeurteilung“ erfolgt durch anerkannte Fachleute, die mehrere Monate für ein Gutachten benötigen. Ist man jedoch auch nach Ablauf der 6-wöchigen Entgeltfortzahlung und der „Aussteuerung“ des 78-wöchigen Krankengeldes noch arbeitsunfähig (weniger als 3 h täglich), so gilt die Nahtlosigkeitsregelung nach § 145 SGB III.

Diese regelt ausnahmsweise den Bezug von Arbeitslosengeld (ALG I) durch die Agentur für Arbeit während die zuständige Rentenversicherung noch die mögliche Erwerbsfähigkeit oder Reha-Ansprüche prüft. Dies ist auch während der monatelangen Widerspruchsverfahren oder Jahre andauernder Sozialgerichtsklagen möglich, allerdings nur bis zum üblichen Ablauf des Arbeitslosengeldes nach maximal 2 Jahren. Die Arbeitsagentur wird allerdings versuchen, eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit (für mindestens 15 Wochenstunden) festzustellen. Weshalb man verpflichtet werden kann, dem Arbeitsmarkt „im Rahmen der Möglichkeiten“ für eine „leidensgerechte Tätigkeit“ zur Verfügung zu stehen.[15]

Viele der an Long Covid erkrankten Menschen sind durch ihre Alltagsbeeinträchtigungen im Sinne der Sozialgesetze „von Behinderung bedroht“ und manche haben sogar einen durch ärztliche Gutachten festgestellten „Grad der Behinderung“ (GdB) bzw. einen versorgungsrechtlichen „Grad der Schädigungsfolgen“ (GdS) . Damit haben sie berechtigten Anspruch auf sozialstaatliche Leistungen zur Rehabilitation und beruflichen Teilhabe. Das beinhaltet auch spezielle Unterstützungsleistungen und finanzielle „Hilfen im Arbeitsleben“ als Nachteilsausgleiche, sowie Gleichstellungsansprüche. Hinzu kommt unter anderem ein besonderer Kündigungsschutz und die Freistellung von Mehrarbeit, sowie für Schwerbehinderte auch zusätzlicher Urlaubsanspruch und eventuell eine vorgezogene Altersrente.

Long Covid ist zwar bisher in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen noch nicht erfasst, aber einzelne gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Covid-19 können eine „Schwerbehinderung“ mit mehr als GdB 50 begründen. Bereits ab GdB 30 ist es möglich, bei der Agentur für Arbeit eine „Gleichstellung zum Ausgleich von Nachteilen im Arbeitsleben“ zu beantragen. Die Anerkennungsquoten sind allerdings recht niedrig, wobei ein fristgerechter Widerspruch beim Versorgungsamt eine erneute Prüfung erzwingt. Falls diese keine Abhilfe schafft, kann ebenfalls innerhalb eines Monats beim örtlichen Sozialgericht dagegen geklagt werden.

Eine in solchen Fragen hilfreiche Fachstelle ist die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB). Diese vermittelt Beratungs- und Unterstützungsangebote, sowie „Peer Counseling“ von Menschen mit Beeinträchtigung untereinander (https://www.teilhabeberatung.de). Weitere Informationen und ein Austauschforum für Betroffene gibt bietet auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe mit ihrer Online-Vernetzungsstelle (https://www.long-covid-plattform.de), bei der man auch lokale Adressen und Ansprechpersonen finden kann. Die Patienten*innen-Initiative Long Covid Deutschland hat weitere Informationen auf https://longcoviddeutschland.org.

Vorbeugung und Gesundheitsschutz

Welche Risikofaktoren einen Ausbruch von Long Covid hervorrufen, ist noch nicht genau geklärt, weshalb über den Schutz davor aktuell wenig bekannt ist. Die bestmögliche Vorbeugung besteht daher darin, jede Ansteckung mit SARS-CoV-2 weitestgehend zu vermeiden und im Zweifelsfall einen PoC-Antigen-Schnelltest zu machen. An der Entwicklung eines Nasensprays mit Lebendimpfstoff wird derzeit noch geforscht, um die Ansteckung über die Schleimhäute wirksam zu blockieren. Zur Behandlung einer beginnenden Covid-19-Erkrankung stehen meist antivirale Medikamente (Paxlovid, Remdesivir) zur Verfügung.

Auch die Impfungen schützen nachweislich vor einem schweren Verlauf von Covid-19 und damit auch vor dem Risiko für Langzeitfolgen. Zudem gibt es Hinweise, dass Schutzimpfungen die Häufigkeit und Stärke von Long Covid Symptomen um etwa 40% verringern. Mehrere Studien zeigen, dass nach doppelter Impfung das Long-Covid-Risiko etwa halbiert ist, bei einer dreifachen Impfung sogar um fast 70% geringer [8].

Weiterhin sind die bekannten Regeln höchst sinnvoll, um die Verbreitung des Virus durch Tröpfchen und Aerosole in der Raumluft aufzuhalten: in belebten Innenräumen stets FFP2-Masken tragen, möglichst Abstand halten, regelmäßiges Lüften und der Einsatz von HEPA-Luftfiltern und CO2-Messgeräten. Hinzu kommen allgemeine Hygieneregeln gegen Schmier-Infektionen, wie regelmäßiges Händewaschen, sowie Rücksichtnahme beim Husten und Niesen (z.B. in die Armbeuge).

Bei Atemwegserkrankungen sollte man sich krankmelden und zuhause bleiben bzw. isolieren, wobei einschränkte Kontakte nur mit Maskenschutz wahrzunehmen sind. Vor allem bedeutet es, eine Infektion allen Betroffenen mitzuteilen und sich mit Krankheitsanzeichen nicht zur Arbeit zu schleppen, um niemanden anzustecken, Und sich nicht unnötig durch Überstunden oder Stress im Homeoffice zu belasten.

Im Rahmen der Vorbeugung ist es aus gewerkschaftlicher Sicht sehr wichtig, am Arbeitsplatz auf eine ausreichende Gefährdungsbeurteilung zu achten. Nicht nur beim alltäglichen Umgang mit (möglicherweise) ansteckenden Kund*innen, Klient*innen oder Patient*innen im Betrieb. Sondern im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen von Long Covid auch bezüglich des Risikos für psychische Belastungen am Arbeitsplatz, sowie bei der Bedienung von Maschinen oder Transportmitteln. Dabei sollte selbst überprüft werden, ob die für Prävention zuständigen Fachkräfte ihre Aufgaben immer angemessen erfüllen. Sei es im jeweiligen Unternehmen (Betriebsärzt*in, Sicherheitsfachkraft) oder im Rahmen der staatlichen Gewerbeaufsicht.

Inklusion und Solidarität

Aus allen genannten Gründen ist es also sehr wichtig, weiterhin nicht auf eine rücksichtlose „Durchseuchung“ der Gesellschaft zu setzen. Sondern auf Vorbeugung, Therapie und Rehabilitation, sowie auf teilhabeorientierte Inklusion der chronisch Kranken. Am Arbeitsplatz und in der gewerkschaftlichen Praxis sollten einerseits weiterhin angemessene Hygieneregeln befolgt werden, Und andererseits müssen wir versuchen, auf die jeweiligen Bedürfnisse von Risikogruppen und Langzeitpatient*innen individuell einzugehen.

Das kann auch bedeuten, die Organisationsabläufe entsprechend zu verändern, indem hybride Zusammenarbeit durch persönliche Anwesenheit und virtueller Teilnahme möglich wird. Systematische Gefährdungsbeurteilungen und Hygienekonzepte wegen aktueller Infektionsrisiken und Rücksichtnahme auf psychische Belastung sollten daher in- und außerhalb des Betriebes selbstverständlich sein. Denn Barrierefreiheit bedeutet nicht nur flache breite Zugänge und Toiletten, sondern auch eine kommunikative Beteiligungsmöglichkeit oder Ruheräume für Menschen mit bio-psycho-sozialen Beeinträchtigungen.

Denn eine Gesellschaft lässt sich immer an ihrem Umgang mit den schwächsten Mitgliedern messen. Und wer Solidarität und gegenseitige Hilfe als Ideale einer befreiten Gesellschaft vorleben möchte, sollte sich sowohl am Arbeitsplatz, wie auch im sozialen Umfeld für diese Prinzipien einsetzen. Und sich jederzeit gegen die Diskriminierung von Kranken und Behinderten (Ableismus) und die eugenische Ideologie angeblicher „Erbgesundheit“ auszusprechen. Das bedeutet auch, die kapitalistische Propaganda einer post-pandemischen „neuen Normalität“ immer wieder in Frage zu stellen.

Denn „Corona“ ist nicht „vorbei“, sondern „gekommen, um zu bleiben“!

Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln

Creative Commons: BY – NC

Anmerkungen:

1) im Englischen spricht man auch von Postacute sequelae of SARS-CoV-2 infection (PASC)

2) https://allcoronavirusesarebastards.substack.com/p/uber-das-risiko-einer-erkrankung

3) https://napkon.de/pop-pcs-score/

4) https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/pdf/ag/ag_forschungBPI-Kurzform.pdf

5) https://www.long-covid-plattform.de/long-covid-richtlinie-zur-verbesserung-der-aerztlichen-versorgung-beschlossen

6) innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig“ (§ 167 Abs. 2 SGB IX), sowie bei einer darauf folgenden Langzeiterkrankung

7) vgl. BAG-Urteil vom 18.11.2021 (Az. 2 AZR 138/21)

8) https://www.mecfs.de/longcovid/

9) https://www.reha-einrichtungsverzeichnis.de

10) https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/020-027

11) https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/080-008

12) https://www.dguv.de/de/mediencenter/hintergrund/corona_arbeitsunfall/index.jsp

13) https://www.bgw-online.de/bgw-online-de/service/unfall-berufskrankheit/berufskrankheiten/covid-19-63456

14) https://www.dguv.de/medien/inhalt/mediencenter/hintergrund/covid/dguv_zahlen_covid.pdf

15) https://www.vdk.de/kv-soest/ID287801


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