Die Diskussion in der Arbeiter*bewegung des 19. Jahrhunderts drehte sich unter anderem um die Idee einer kollektiven Arbeitsniederlegung, dem sozialen Generalstreik, zur Durchsetzung ihrer Forderungen. Die englischen Gewerkschaften beschlossen für ihr Ziel des Achtstundentags einen landesweiten Streik am 1. Mai 1833 abzuhalten, der jedoch nicht umfassend realisiert werden konnte. Der entstehende Industriekapitalismus war schon für die Anfänge der Arbeiter*bewegung ein starker Gegner, der Nationalismus verhinderte andererseits oft die grenzüberschreitende Solidarität.
Nachdem die internationale Revolutionswelle von 1848/49 zum Sieg des nationalen Bürgertums in Europa geführt hatte, wanderten viele sozialistische Arbeiter*innen nach Amerika aus. Zahlreiche von ihnen brachten auch anarchistisches Gedankengut mit in die USA, wo die Lebens- und Arbeitsbedingungen oft noch schlimmer waren als in ihren Heimatländern. Besonders in der ersten Weltwirtschaftskrise ab 1857 und in der Gründerzeitkrise („Grosse Depression“) ab 1873 litten die Arbeiter*innen unter Erwerbslosigkeit und Wohnungsnot.
Gegen die entstehende Arbeiter*bewegung wurden im neu gegründeten Deutschen Kaiserreich 1878 die Sozialistengesetze „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ erlassen. In der 1872 gegründeten „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA) waren die deutschen Sozialist*innen und Anarchist*innen die stärkste Kraft. So ist es kein Wunder, dass viele der hunderttausenden, deutschen Auswanderer*innen auch in den USA sich gewerkschaftlich organisierten. Die 1869 in Philadelphia gegründeten „Knights of Labor“ gelten dabei als Vorläufer der späteren „Labor Unions“.
Die Gewaltfrage
Seit dem Eisenbahnerstreik von 1877 erhielten die Gewerkschaften großen Zulauf, aber sie wurden von den bezahlten Schlägern und bewaffneten Streikbrechern der Pinkerton Agency im Auftrag der Kapitalist*innen hart bekämpft. Die Polizei und die Presse spielten ihre entsprechende Rolle, so forderte die „New York Tribune“ zum Beispiel, dass man die Demonstrationen der streikenden Arbeiter*innen mit Handgranaten zerschlagen solle. Als bewaffnete Verteidigungsorganisationen wurden in einigen amerikanischen Städten die gewerkschaftlichen „Lehr- und Wehrvereine“ gegründet. Sie machten Schießübungen und Aufmärsche zu Gedenken der Pariser Kommune von 1871. Die „Sozialistische Arbeiterpartei“ spaltete sich 1880 an der Frage der Bewaffnung in einen rechten, parlamentarischen und einen linken, sozialrevolutionären Flügel.
Während in New York der deutsche Anarchist und ehemalige SPD-Abgeordnete Johann Most die „Revolutionäre Kriegswissenschaft“ als „Propaganda der Tat“, sind in Chicago der Amerikaner Albert Parsons und der Deutsche August Spies die bekannten Vertreter einer gewaltsamen Arbeiter*bewegung. Spies arbeitete für die deutschsprachige „Chicagoer Arbeiter-Zeitung“ und Parsons gab den „Alarm“ in englischer Sprache heraus. Sie gründen 1883 in Pittsburgh gemeinsam mit anderen Sozialrevolutionären und Anarchisten die „International Working People’s Association (IWPA)“ nach dem Vorbild Michael Bakunins in der Ersten Internationale.
Die Mischung aus Anarchismus und Syndikalismus wurde damals als „Chicago Idea“ bezeichnet. In zahlreichen Zeitungen propagierte diese „Schwarze Internationale“ ihre Revolutionspläne in deutscher, englischer und tschechischer Sprache. Allerin in Chicago gaben sie fünf Zeitungen heraus, unter ihnen die „Arbeiter-Zeitung“, die von August Spies, Adolph Fischer und Michael Schwab mit täglich 6.000 Exemplaren herausgegeben wurde.
Kampf für den Achtstundentag
1884 beschloss der nordamerikanische „Kongress der föderierten Gewerkschaften und Arbeitervereine“ (später „American Federation of Labor“) die Forderung nach dem Achtstundentag als zentrales Motiv der künftigen Arbeitskämpfe. Die Verringerung des (meist 10stündigen) Arbeitstages um zwei Stunden erschien den anarchistischen Syndikalisten als reformistisch, aber trotzdem unterstützen sie die Kampagne. Die seit 1860 bestehende Forderung sollte am 1. Mai 1886 mit landesweiten Streiks endlich durchgesetzt werden. In Chicago organisierte die „Central Labor Union“ am Sonntag vor dem 1. Mai eine Großdemonstration mit rund 25.000 Teilnehmer*innen. Am 1. Mai selbst streikten in den Industriezentren der USA über 300.000 Arbeiter*innen, allein in Chicago legten 40.000 die Arbeit nieder und auf der Straße vereinigten sich 80.000 Demonstrant*innen.
Bereits im April 1886 hatten sich in der Chicagoer Firma McCormick, wo Erntemaschinen hergestellt wurden, die meisten Arbeiter*innen wegen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen zu einem Streik entschlossen. Damals wurde für einen 12-Stunden-Arbeitstag im Durchschnitt 3 US-Dollar gezahlt, wovon man in einem Restaurant gerade mal ein ein mageres Abendessen bekam. Der Arbeitgeber sperrte die Belegschaft massenhaft aus und die fast 1000 freien Stellen sollten nun von neuen Einwanderern ersetzt werden, die in solchen Fällen schon vor dem Werkstor Schlange standen. Die „Arbeiter-Zeitung“ rief jedoch dazu auf, keinen Streikbruch zu begehen und es meldeten sich nur etwa 300 Arbeitswillige. Am Abend des 1. Mai 1886 fand eine Arbeiterversammlung auf dem „Haymarket“ genannten Platz an der Randolph Street in Chicago statt und es folgte ein mehrtägiger Streik bei McCormick.
Chicago 1886
Am 3. Mai schritt die Polizei ein, um eine Streikversammlung mit 6.000 Demonstrant*innen in der Nähe der Fabrik McCormick aufzulösen. Bei der folgenden Straßenschlacht wurden sechs Arbeiter getötet und viele verletzt. In der Nacht zum 4. Mai versammelten sich dann tausende Demonstrant*innen zu einer Protestkundgebung gegen Polizeigewalt und zogen zum Haymarket-Square. Erneut versuchte die Polizei, wie bereits am Tag zuvor, die Versammlung gewaltsam aufzulösen. Der Protestzug der Arbeiter*innen konnte aber fortgesetzt werden und verlief soweit friedlich.Bürgermeister Harrison, der sich persönlich vor Ort um die Sicherheit in seiner Stadt gekümmert hatte, ging schon früh wieder nach Hause.
Etwa tausend Demonstrant*innen, die meisten von ihnen deutsche Arbeiter*innen, hörten den Reden zu. Die Situation eskalierte in der Abenddämmerung nachdem die bekannten Anarchisten Albert Parsons, August Spies und Samuel Fielden ihre Ansprachen gehalten hatten. Die Polizei stand mit Gewehren in den Seitenstraßen bereit zum Einsatz. Als Regenwolken aufzogen, verließen viele Demonstrant*innen den Kundgebungsort, es blieben etwa 300 zurück.
Kurz vor Ende der Rede von August Spies gab Polizeiinspektor Bonfield den Befehl zum Stürmen. Zwei Hundertschaften der Polizei kamen im Laufschritt angerannt und umzingelten den Redner-LKW als jemand eine Bombe in die Menschenmenge warf. Direkt nach der Explosion begann die Polizei auf die Arbeiter*innen zu schießen. Ein Polizist verstarb noch am Ort des Geschehens und sechs Arbeiter starben später an ihren Verletzungen. Da die Redner als Anarchisten bekannt waren, ging die Polizei und die Presse davon aus, dass es sich um einen anarchistischen Anschlag auf die Polizei gehandelt habe. Ein Beweis für eine solche Verbindung konnte allerdings nie erbracht werden.
Obgleich niemand überhaupt den Bombenwerfer erkannt hatte, wurden acht Männer, welche den Streik mitorganisiert hatten, angeklagt und im August 1886 für schuldig befunden. Obwohl es teilweise sogar Alibis gab, beschuldigte Richter Joseph Gary sie, da der Bombenwerfer wohl auf Grund der anarchistischen Ideen dieser Männer gehandelt hätte. Daher seien sie ebenso schuldig, als ob sie selbst den Anschlag verübt hätten. Anfang Oktober halten die Angeklagten ihre berühmt gewordenen Verteidigungsreden, die in zahlreiche Sprachen übersetzt und veröffentlicht wurden. Die Anwaltskosten wurden unter anderem mit 50.000 Dollar Spendengeldern aus aller Welt finanziert.
Verurteilt wurden schließlich Georg Engel (Anstreicher aus Kassel), Samuel Fielden (Fuhrmann aus Lancashire), Adolph Fischer (Schriftsetzer aus Bremen), Louis Lingg (Zimmermann aus Mannheim), Oscar Neebe (Klempner aus New York, aufgewachsen in Kassel), Albert Parsons (Schriftsetzer aus Alabama), Michael Schwab (Buchbinder aus Unterfranken) und August Spies (Möbelschreiner aus Hessen). Nach einem umstrittenen Schauprozess mit gefälschten Beweisen wurden sie von einer manipulierten Jury zum Tod durch Erhängen verurteilt. Der ebenfalls verurteilte Oscar Nebe wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt. Louis Lingg beging in der Gefängniszelle Selbstmord indem er sich mit einer eingeschmuggelten Patrone den halben Kopf wegsprengte. Eine Revision des Urteils wurde Anfang November 1887 vom Obersten Gerichtshof abgelehnt.
Die Todesurteile über Samuel Fielden und Michael Schwab wurden jedoch von Gouverneur Ogelsby in Lebenslänglich umgewandelt. Engel, Fischer, Parsons und Spies wurden am 11. November 1887 im Gefängnis von Cook County hingerichtet. Hunderttausende beteiligten sich an einem Protestzug anlässlich der Beerdigung der Ermordeten auf dem Waldheim Friedhof in in Forest Park (Illinois). Robert Reitzel, Anarchist aus Baden, hielt eine Grabrede. Seit 1893 steht auf dem Waldheim Friedhof ein Denkmal für die Opfer der Haymarket-Affäre.
Ebenfalls im Jahr 1893 wurden die drei Gefangenen, Fielden, Nebe und Schwab von Gouverneur John Altgeld als unschuldige Justizopfer anerkannt und begnadigt (1936 kam ein Untersuchungsausschuss zu dem Ergebnis, dass alle acht Verurteilten unschuldig gewesen sind). Nach seiner Entlassung war Oscar Neebe übrigens auch weiterhin in der Arbeiter*bewegung aktiv. Er wurde später Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW) und war z.B. am Ersten Mai 1906 der Hauptredner auf einer Kundgebung in Chicago. Neebe starb 1916 und wurde auf dem Waldheim Friedhof beim Denkmal für die „Haymarket Märtyrer“ beerdigt.
Zunächst jedoch führten das Urteil und seine Vollstreckung auf der ganzen Welt zu einem Protest der Arbeiter*bewegung. 1888 beschloss die American Federation of Labor (AFL) den 1. Mai 1890 als Kampftag zur Durchsetzung des Achtstundentags. Obwohl in Deutschland die SPD-Führung gegen den Generalstreikaufruf war, fanden in allen Städten Streiks und Massenkundgebungen statt. Über 100.000 Arbeiter*innen beteiligten sich daran, vor allem in Hamburg.
Schließlich hat der Pariser Gründungskongress der sozialdemokratischen „Zweiten Internationale“ 1889 de Ersten Mai als jährlichen „Kampftag der Arbeiter*bewegung“beschlossen und dieser wird seitdem mit Massenkundgebungen und Streiks begangen. Doch es gab auch schon früh Kritik am Ersten Mai: In Frankreich wandten sich 1892 zahlreiche Anarchisten, darunter Sebastien Faure, gegen die Kampagne. Dies sei „kein revolutionärer Tag“ mehr. Sondern ein „Wahlsprungbrett“ für „Machthungrige“, die mit den Stimmen der Arbeiter*innen ins Parlament gewählt werden wollen. Auf dem Gewerkschaftskongress 1893 in Marseille wurde jedoch die kämpferische Ausrichtung des Ersten Mai als Tag des Generalstreiks nochmal bestätigt, was die Trennung vom Parteisozialismus weiter vorantrieb. Spätestens als die anarchistischen Teilnehmer*innen auf dem Kongress der Zweiten Internationalen imJahr 1896 in London wegen ihrer Ablehnung des Parlamentarismus ausgeschlossen wurden, war der Bruch vollzogen.
Solidarität statt Standortnationalismus
Heute jedoch hat für grosse Mehrheit der lohnabhängig Arbeitenden der Erste Mai keine besondere Bedeutung mehr. Es ist längst nicht mehr der „Kampftag der Arbeiterklasse“. Stattdessen ist der Erste Mai für viele eine gute Gelegenheit für einen frühsommerlichen Familienausflug ins Grüne, vielleicht sogar zum Würstchenessen beim DGB-Strassenfest. Dort gibt es die langweiligen Sonntagsreden der Gewerkschaftsfunktionär*innen, die ihre Sozialpartnerschaft mit den Wirtschaftsbossen im „Bündnis für Arbeit“ als notwendig und fortschrittlich schönreden.
Dabei verteidigen die DGB-Gewerkschaften den „Standort Deutschland“ mit aller nationalen Härte gegen die angebliche Konkurrenz in den Niedriglohnländern Osteuropas und Asiens. Das geht sogar soweit, dass die IG BAU gemeinsame Sache mit den Zollfahndern bei Razzien auf Baustellen macht, um gegen undokumentierte Arbeit und andere Formen der illegalen Beschäftigung vorzugehen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund vertritt damit die Interessen seiner Mitglieder, hauptsächlich der organisierten Facharbeiter*innen mit Tarifschutz und Rentenanspruch. Für einen zunehmenden Teil der Bevölkerung, der außertariflich arbeitet (Prekarisierte / Illegalisierte) ist der 01.05. ohnehin kein freier Tag und sie bekommen auch keinen Feiertagszuschlag…
Strassen kehren, Teller spülen, Kinder und Alte (ver-)pflegen, Kaffee servieren, Büroarbeiten – immer mehr der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten werden durch Leiharbeiter*innen, Mini-Jobs oder Ein-Euro-Jobs erledigt. Der staatliche Arbeitszwang durch die ARGE und der Niedriglohndruck des Marktes schaffen in Deutschland für einen wachsende Zahl der „arbeitenden Armen“. Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg werden Teile der Bevölkerung unter die Armutsgrenze gezwungen, dorthin wo sich das „ausländische Proletariat“ (laut „Gewerkschaft der Polizei“) längst befindet. Die Kämpfe gegen solche Zustände jeden Tag gemeinsam zu führen, ist die Aufgabe der Gewerkschaften.
Und wenn es der DGB nicht tut,
dann machen wir es eben selbst!
Geschichte der „Sozialpartnerschaft“
Das Klassenbündnis des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat Tradition: Im Jahr 1920 wurde in der Weimarer Republik das Betriebsrätegesetz des Deutschen Reiches verabschiedet. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg (1914-18) und der Novemberrevolution der Arbeiter- und Soldatenräte (1918/19) hatte sich die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften als neue Herrschaftselite durchgesetzt. Eben jene SPD, die schon 1914 für die Kriegskredite des Kaisers gestimmt hatte, um von den reaktionären Kräften nicht wieder als „vaterlandslose Gesellen“ beschimpft zu werden.
Die SPD-Führer Ebert und Noske wollten ihren Teil vom kolonialen „Platz an der Sonne“ abhaben. Dafür waren die sozialdemokratischen Gewerkschaften auch bereit gewesen, während des imperialistischen Krieges die Füße still und die Klappe geschlossen zu halten. Dieser Klassenkompromiss wurde als „Burgfrieden“ zum Symbol des Korporatismus. Der Kaiser dankte es ihnen mit der offiziellen Anerkennung im „Vaterländischen Hilfsdienstgesetz“ von 1916. Im Stinnes-Legien-Abkommen zur Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) mit der Industrie zeigte sich von 1918 bis 1924 erneut der Geist des gewerkschaftlichen Klassenfriedens.
1919: Feiertag und Massaker
Mit dem Sieg der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik wurde 1919 der Erste Mai nun als „Nationalfesttag“ arbeitsfrei. Es sollte allerdings keine Erinnerung sein an die seit 1886 an dem Tag durchgeführten Massenstreiks für einen 8-Stunden-Tag. Die Sozialdemokratie wollte einen staatlich geschützten Feiertag einführen, der „den hohen Idealen des internationalen Arbeiterschutzes und des dauernd gesicherten Weltfriedens“ gewidmet war. Dies sollte ein „Mittel zur Vereinigung und Zusammenfügung des gesamten Volkes“ werden.
An diesem ersten „Feiertag“ im Jahr 1919 wurde jedoch die revolutionäre Münchener Räterepublik von Militär und Faschisten niedergeschossen, hunderte tote Arbeiter*innen wurden gezählt. Tausende wurden verhaftet und zu Todesstrafe oder lebenslanger Haft verurteilt. Die SPD-Regierung fürchtete daher, dass dieser Tag in den folgenden Jahren erneut zu blutigen Auseinandersetzungen mit Arbeiter*innen führen könnte. Also wurde dieser „Nationalfesttag“ direkt wieder abgeschafft, aber in weiten Teilen der Weimarer Republik blieb der Erste Mai trotzdem arbeitsfrei.
Im April 1920 liess die SPD-Regierung schließlich mit Hilfe der Reichswehr und faschistischen Freikorps den Aufstand der Arbeiter*innen im Ruhrgebiet niederschießen und Verdächtige massakrieren. Jene militaristischen Kräfte, die „Für Kaiser und Vaterland“ die Novemberrevolution 1918 niedergeschossen hatten, hatten nun erneut mit Duldung der SPD-Regierung blutige Massaker an der antifaschistischen Arbeiter*bewegung begangen. Doch die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften waren nicht in der Lage daraus zu lernen und den Aufstieg des Nationalsozialismus aufzuhalten.
Seit 1924 waren Maidemonstrationen unter freiem Himmel verboten, aber es war dadurch kaum zu nennenswerten Zwischenfällen gekommen. Im Jahr 1929 jedoch zerschlug der Berliner Polizeipräsident Zörgiebel die Maidemonstrationen, um den für den 2. Mai von der KPD ausgerufenen Streik zu verhindern. In der preußischen Hauptstadt, wo der Tag (im Gegensatz zu anderen Teilen des Deutschen Reiches) kein Feiertag war, zogen etwa 8.000 Arbeiter*innen durch die Stadtteile Wedding und Neukölln. Obwohl die SPD wie gefordert nur Saalveranstaltungen abhielt, wurde ein Sozialdemokrat erschossen als er nicht sofort sein Fenster schließen wollte. Der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel verhängte den Ausnahmezustand und zerschlug in den folgenden zwei Tagen alle Demonstrationen und Streikversammlungen mit gepanzerten Maschinengewehrwagen. Von den rund 25.000 unbewaffneten Demonstrant*innen wurden über 30 erschossen, hunderte verletzt.
Sozialdemokratie und ADGB
Der ehemalige Landesarbeitsminister Theodor Leipart (ein Begründer der bürgerlichen „Wirtschaftsdemokratie“) war seit 1921 Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB). Mit seiner Parole „Organisation – nicht Demonstration!“ zeigte Leipart seine gewaltfrei abwartende Haltung gegenüber den Nazis und trug viel dazu bei, einen erfolgreichen antifaschistischen Arbeiterwiderstand zu verhindern.
Nach der Machtübergabe an den Reichskanzler Adolf Hitler 1933 versuchte Leipart die hilflose Annäherung der deutschen Gewerkschaften an die legale Nazi-Regierung. Aus Angst vor einer Zerschlagung der Gewerkschaften sprach er sich weiterhin gegen den politischen Massenstreik aus und beließ es beim mündlichen Protest und parteilpolitischer Neutralität.
Nazidiktatur und Arbeitskult
Am 19. April 1933 erklärte der ADGB-Vorstand, es sei die Pflicht der Gewerkschaftsmitglieder an den staatlich verordneten Maifeiern teilzunehmen. Der ADGB forderte von der Regierung die „vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat“ der nationalsozialistischen Parteidiktatur. Teilweise marschierten am Ersten Mai 1933 tatsächlich die Gewerkschafter*innen gemeinsam mit Nazis. Hitler verkündete in Berlin vor einer Million Deutschen: „Das Symbol des Klassenkampfes, des ewigen Streites und Haders wandelt sich nun wieder zum Symbol der großen Einigung und Erhebung der Nation.“ Antisemitismus und Antikommunismus wurden nun zur Staatsreligion gemacht.
Bereits am nächsten Tag (02.05.1933) zerschlugen die Nazis mit ihrem „Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit“ die Arbeiter*innen-Vereinigungen. Gewerkschaftshäuser und Gelder wurden beschlagnahmt und Funktionäre (wie Theodor Leipart) in „Schutzhaft“ gesperrt und teilweise ermordet. In Köln wurde das traditionelle „Volkshaus“ in der Severinstraße 149 von den Nazis angegriffen, der Vorsitzene Hans Böckler und andere wurden danach verhaftet und gefoltert.
Die Nationalsozialist*innen haben den Klassenkampf zwangsweise abgeschafft und durch ihren „Rassenkampf“ ersetzt. An die Stelle der betrieblichen Mitbestimmung setzten sie die unternehmerischen „Betriebsführer“ und die „Deutsche Arbeitsfront (DAF)“. Alle Lohnabhängigen wurden als „Gefogschaft“ dann zwangsweise Mitglieder der DAF und die Verbände der Arbeiter*innen und Angestellten wurden zur Einheitsgewerkschaft.
Das Streikrecht wurde abgeschafft und die „Treuhänder der Arbeit“ sollten als Schlichtungsstelle im Konfliktfall den sozialen Frieden zwischen Arbeitgeber*innen und der Arbeiterschaft in den „Betriebsgemeinschaften“ sichern. Sie wurden jedes Jahr Ersten Mai für 12 Monate berufen und unterstanden direkt dem Reichsarbeitsministerium. Der frühere „Kampftag der Arbeiterklasse“ wurde zum Symbol der „schaffenden Arbeit“ als „Zeichen der völkischen Verbundenheit“ im „nationalen Sozialismus“.
Ab 1934 hatte er keinen Bezug zur Arbeiter*bewegung mehr und hieß nur noch „Nationaler Feiertag des deutschen Volkes“. Mit geschmückten Maibäumen, Liedersingen, Wagenparaden und Militäraufmärschen sollte der Erste Mai als völkisch-neuheidnisches Volksfest ein zentraler Bestandteil der NS-Ideologie werden. An vielen Orten wurde nach dem Berliner Vorbild vom Ersten Mai 1933 sogar Bäume gepflanzt, die sogenannten „Hitler-Eichen“. Gleichzeitig zerschlugen die Nazis die Reste der deutschen und österreichischen Arbeiter*bewegung mit Verfolgung und Terror. Viele wurden in den Konzentrationslagern gemeinsam mit Jüd*innen und „Asozialen“ durch Zwangsarbeit vernichtet. Nicht zufällig lautete die Inschrift im Tor des KZ Dachau: „Arbeit macht frei!“ Erst die alliierten Kriegsgegner*innen, allen voran Sowjetunion und USA, machten der Diktatur am 8. Mai 1945 ein Ende.
Der Erste Mai nach 1945
Im Jahr 1946 wurde der Erste Mai den Alliierten Kontrollrat als gesetzlicher Feiertag bestätigt. Doch die Maikundgebungen durften zunächst nur eingeschränkt durchgeführt werden. Heute ist der Tag in Deutschland ein gesetzlich geschützter Feiertag. Die offizielle Bezeichnung ist Ländersache, in NRW heisst er zum Beispiel „Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde“.
In den staatskapitalistischen Staaten des Ostblocks wurde der Erste Mai als „Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“ von der marxistisch-leninistischen Regierung verordnet. Eine Teilnahme an den militärischen Aufmärschen mit Tribünen für führende Parteimitglieder und Ehrengästen war für Arbeiter*innen und Schüler*innen meist Pflicht. Als Symbol des Ersten Mai wurde eine rote Nelke verschenkt oder an Denkmälern der Arbeiter*bewegung niedergelegt. Als Zeichen des westlichen Antikommunismus hat dann Pius XII, der in seiner Amtszeit ab 1939 den Faschismus unkritisch geduldet hatte, im Jahr 1955 den Ersten Mai zum Gedenktag für den Heiligen Joseph (den Vater von Jesus) erklärt, da dieser Zimmermann gewesen sein soll.
Seit Anfang der 1980er Jahre wurde in Westberlin (BRD) der Erste Mai zu einem Symbol für militanten Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei. An den Barrikadenkämpfen, Plünderungen und Sachbeschädigungen, die hauptsächlich im Stadtteil Kreuzberg stattfinden. nehmen jedoch teilweise auch Anwohner*innen und Zugereiste aktiv teil. Meist ist die abendliche Demonstration der linksradikalen Szene der Anlass für Polizeigewalt und folgende Auseinandersetzugen. Seit 2001 gibt es in einigen europäischen Städten die „EuroMayday“-Paraden als politische Alternative zu DGB und Straßenschlacht. Die Aktivist*innen wollen weg vom Image des Schwarzen Blocks und feiern ausgelassen mit Popmusik und Kostümumzügen den Widerstand der unorganisierten, prekarisierten Arbeiter*innen.
Heute ist der Erste Mai ein gesetzlicher Feiertag in Deutschland und anderen europäischen Staaten, aber auch in Ländern, wie Brasilien, China, Mexiko, Nordkorea, Russland, Thailand und Türkei – obwohl trotzdem die Maidemonstrationen in einigen Staaten verboten werden und teilweise Anlass für Polizeigewalt und Verhaftungen werden. Aber die meisten Maidemonstrationen sind Ausdruck einer traditionellen Arbeiter*innen-Bewegung und der sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Parteien, die sich in Stellvertreterpolitik und Parlament schon lange haben einbinden lassen.
Die „Wirtschaftsführer“ von heute brauchen den Ersten Mai nicht mehr, um die Arbeitenden zu befrieden. Das haben die Einheitsgewerkschaften im DGB schon selbst geschafft. Immer wieder wurde versucht, den Ersten Mai als gesetzlichen Feiertag abzuschaffen, weil auch an diesem Tag ganz normal und ohne Lohnzuschläge gearbeitet werden soll. Doch, ob Feiertag oder nicht:
Nur Solidaritätstreiks, Boykott und Direkte Aktionen
machen jeden Tag zum Ersten Mai!
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln,
https://asnkoeln.wordpress.com
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